Bild: Montage mehrerer Posts von @afffirmations auf Instagram

Autorin: Alike Schwarz
*Hinweis zur Perspektive der Autorin unten

Mentale Gesundheit ist ein großes Thema, das viele Menschen beschäftigt. Das spiegelt sich in den Inhalten der Social-Media-Feeds (1) wieder. Für manche Nutzer:innen sind Social-Media-Plattformen sogar der primäre Diskursort für dieses Thema. Depression-Memes (2, 3) sind allgegenwärtig, Tipps zu Meditation und Achtsamkeit trenden und Profis aus Psychologie und Gesundheitsvorsorge geben Rat bei psychischen Belastungen im Alltag. Doch aus dem teilweise leichtfertigen Umgang mit psychologischen Diagnosen in den sozialen Medien können auch falsche Schlüsse gezogen werden.

Eine übergreifende Diskursverschiebung um die Begriffe „psychisches Befinden“ und „mentale Gesundheit“ findet sich ebenfalls auf Social Media: Vor circa zehn Jahren standen psychische Krankheiten und deren Entstigmatisierung im Vordergrund. Der Fokus lag auf der menschlichen Psyche in einem kranken und damit defezitären Status. Inzwischen spielt die gesunde Psyche und deren Erhaltung eine fast gleichwertige Rolle. Dazu gehören zum Beispiel Tipps zum mentalen Wohlbefinden auf Instagram-Accounts, Memes über den Umgang mit den eigenen Grenzen, oder Empfehlungen für Handlungsstrategien in psychischen Stresssituationen auf TikTok. Nach wie vor begegnen uns aber viele Inhalte zu den primären Themenfeldern rund um die kranke beziehungsweise nicht-gesunde menschliche Psyche. Der Diskurs ist insgesamt breiter, das Themenspektrum differenzierter geworden. Auch die Perspektiven, aus denen über mentale Gesundheit kommuniziert wird, sind wesentlich diverser geworden. Es gibt Accounts, die sich spezifisch an weibliche oder migrantische Personen richten oder die insbesondere die LGBTQ-Szene ins Auge fassen.

Beispiele für Inhalte zu mentaler Gesundheit auf Instagram

Auf dem Account von “@dumbsoberbitch” finden sich verschiedenste Memes zu Themen der psychischen Gesundheit und psychischen Belastungssituationen.

Unter dem Handle “@miamiyasemin” (eine Anspielung auf den deutschen Rapper Miami Yacine) postet eine Person aus einer weiblich und migrantisch kodierten Perspektive. Auch hier tauchen vereinzelt und non-chalant Hinweise auf psychische Belastungssituationen, “Therapie” oder andere Themen aus dem Bereich der mentalen Gesundheit auf.

Der Autor und Projektmanager Fikri Anıl Altıntaş veröffentlicht Texte und postet auf Social Media zu den Themen Männlichkeit(en), Rollenbilder, Orientalismus, Antifeminismus sowie (De)-Konstruktion von migrantischer, muslimisch-türkischer Männlichkeit in Deutschland.

Der Creator @ethnzchry (Ethan Zachary) postet viele “POV”-Videos (4). Hier spielt er die Situation nach, in der ein:e depressive:r Freund:in auf einmal scheinbar wieder sehr fröhlich ist und ihm auf einmal sein:ihr wichtiges Erinnerungsstück überreicht. Der Creator spielt darauf an, dass der:die fiktive Freund:in suizidgefährdet ist und das Erinnerungsstück ein Abschiedsgeschenk darstellt. In der Caption (5) steht “Please talk to your friends and check up on them❤️ #fyp #friends #foryou #mentalhealthawareness #fy “. @ethnzchry ruft dazu auf, sich um Freund:innen zu kümmern und sich nach deren Befinden zu erkunden und verwendet dazu den passenden Hashtag “mentalhealthawareness”.

@ethnzchry Please talk to your friends and check up on them❤️ #fyp #friends #foryou #mentalhealthawareness #fy ♬ Pluto Projector - Rex Orange County

Triggerwarnung: Im untenstehenden Video sind Narben von Selbstverletzung zu sehen.

Die Creatorin @sonny.kem postet ein Video, in dem ihre Arme mit Narben von Selbstverletzung zu sehen sind. Auf dem Video steht “1 <3 day” und “You’re never alone”. In den Kommentaren drücken viele ihre Anteilnahme und Unterstützung aus.

@sonny.kem keep going ; #mentalhealthmatters #mentalhealthawareness #shrecovey ♬ ride - *ੈ✩‧₊˚

Die Psychologin Viviane Hähne (@vivis.psychologie) postet ein Video über “5 geheime Zeichen der Depression”. Dabei gibt sie in der Caption (5) folgenden Hinweis: “Keine Selbstdiagnosen bitte, aber gerne mit jemandem sprechen, wenn diese Punkte auf dich zutreffen 🙏🏻🤍 #mentalhealth #psychischegesundheit #Depression #depressed #Burnout #psychischeerkrankung “.

@vivis.psychologie Keine Selbstdiagnosen bitte, aber gerne mit jemandem sprechen, wenn diese Punkte auf dich zutreffen 🙏🏻🤍 #mentalhealth #psychischegesundheit #Depression #depressed #Burnout #psychischeerkrankung ♬ Night Trouble - Petit Biscuit

Als potentiell weltweites Netzwerk unterstützen sich hier viele Nutzer:innen mit psychischen Schwierigkeiten oder Krankheiten und schließen sich in den Kommentarspalten oder in den Direktnachrichten zu losen und ständig transformierenden Communities aus Leidensgenoss:innen zusammen. Dabei nutzen viele Ersteller:innen von Inhalten Humor als Bewältigungsstrategie und verarbeiten so ironisch psychisch herausfordernde Situationen. Eine Studie, die 2020 in Nature publiziert wurde, gibt Indizien dafür, dass von Depressionen Betroffene durch das Ansehen von Depression-Memes besser mit ihrer eigenen Krankheit umgehen können. Genau wie im analogen Leben werden Social Media Räume auch genutzt, um Diagnosen oder Krankheitsgeschichten zu romantisieren und die eigene Identität auch oder gerade in seiner Verletzlichkeit zu inszenieren. Das beschreibt zum Beispiel dieser Artikel der Trendforscherin Angel Schmocker recht gut. In dem 2019 veröffentlichten Artikel nennt Schmocker einige (ästhetische) Strömungen wie zum Beispiel die “Xan-Culture”, die heute in 2023 schon wieder abgelöst wurden durch neue Mikro-Trends und Phänomene. Wie bei vielen anderen Themen sind konkrete Trends mit Bezug auf psychische Gesundheit im Internet eher kurzlebig.

Stupid Mental Health Walk

Ein gutes Beispiel für einen humorvollen Umgang mit psychischen Belastungen stammt aus der Zeit der strengen Corona-Lockdowns: Damals trendete immer wieder ein Format, das sich unter dem Titel “Mental Health Walk” zusammenfassen lässt. Zu sehen sind Menschen, die sich selbst dabei filmen, wie sie trotzig draußen durch die Gegend stapfen. Auf dem Video stehen kurze Texte, in denen die Nutzer:innen schreiben “Me going on my stupid little mental health walk” oder Ähnliches. Wieso sind die “Stupid Mental Health Walks” so beliebt auf TikTok & Co.? Die Menschen finden sich in der trotzigen, selbstironischen Haltung gegenüber der eigenen mentalen Gesundheit wieder. Oft wissen wir, was eigentlich gut für uns ist. Aber diese gesundheitsfördernden Dinge zu tun, kostet uns häufig Überwindung. Und wenn sich dann noch herausstellt, dass diese Gesundheitsmaßnahmen uns sogar wirklich gut tun, fühlen wir uns trotzig wie ein kleines Kind. Frustrierend ist zudem, dass uns außer dem Spaziergang häufig keine andere Möglichkeit bleibt. Therapieplätze sind rar und unmittelbare Hilfe ist in der Regel schwierig zu bekommen. Zu diesem strukturellen Problem schreibt der Standard: “[…] [A]uch die positiven Aspekte von Spaziergängen [können] freilich keine strukturellen Mängel zur Verbesserung mentaler Gesundheit aufwiegen […]: Nicht so sehr das Spazierengehen an sich wird gehasst, sondern das Fehlen von Alternativen.”

Entstigmatisierung vs. Verwässern von therapeutischen Begriffen

Der online geführten Diskurs findet heute im Spannungsfeld zwischen Entstigmatisierung und Verwässerung therapeutischer Begriffe statt. Social Media können eine wichtige Rolle bei der Sensibilisierung, Aufklärung und Entstigmatisierung von psychischen Problemen und Krankheiten spielen. Aber die hier erhaltenen Informationen sollten nicht dazu verleiten, sich selbst eine Diagnose zu stellen und leichtfertig mit Zuschreibungen wie “Trauma”, “Borderline Störung” oder “ADHS” umzugehen. Die Psychologin Rammiya Gottschalk beschreibt in einem Artikel von Deutschlandfunk Nova ihre Erfahrungen, die sie bei ihrer Aufklärungsarbeit auf Social Media macht:

Ich sage beispielsweise in einem Video, dass die typischen Symptome einer Depression Antriebslosigkeit, Interessensverlust und Selbstzweifel sind. Das ist gefährlich, denn die drei Sachen allein reichen nicht aus, um eine Depression diagnostiziert zu bekommen.

Videos, in denen Symptome für psychische Krankheiten aufgezählt werden, sind sehr beliebt auf TikTok und Instagram Reels. Teilweise absurde oder auch sehr allgemein gehaltene Verhaltensweisen werden dann als Symptome von Störungsbilder wie ADHS, Depressionen oder PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) aufgezählt, so dass die Kriterien für die Selbstdiagnose auf beinahe jede beliebige Person zutreffen. Jemand, der sich ein Reel oder TikTok mit solchen Kriterien ansieht, kann schnell die falschen Schlüsse ziehen und sich selbst eine Diagnose zuschreiben, die möglicherweise gar nicht zutrifft und schlimmstenfalls andere, nicht-identifizierte Probleme verdrängt.

@fraupsychologin Und was ich immer sage: Keine Selbstdiagnosen 😊 https://youtu.be/W32iJGYTXXU #psychotherapie #mentalhealth #selbstdiagnose #gefährlich #fraupsychologin #zdf #13fragen @ZDF ♬ Originalton - Frau Psychologin

Wann kippt Selfcare in neoliberale Erhaltung der Arbeitsfähigkeit?

Wenn Arbeitgeber anfangen, Tipps zu Achtsamkeit oder bewusster Ernährung zu geben, ist Vorsicht geboten. Denn als gewinnorientierte Akteure sind sie nicht aus Nächstenliebe am Wohlergehen ihrer Angestellten interessiert, sondern weil die Gesundheit auch Arbeitsfähigkeit bedeutet. An und für sich ist es nicht verwerflich, als Arbeitgeber auf die Gesundheit seiner Angestellten acht zu geben. Aber häufig sind auf Social Media gepostete Gesundheitstipps nur Lippenbekenntnisse, die nicht einhergehen mit dem Abbau echter Hürden für die Angestellten. Druck durch zu hohe Arbeitsbelastung und Stress aufgrund von unsicheren Arbeitsverhältnissen lässt sich nicht wegmeditieren. Arbeitgebern kommt es entgegen, wenn sie Arbeitnehmern das Gefühl geben können, diese seien selbst Schuld und hätten nur nicht genug auf sich Acht gegeben, wenn sie psychische Probleme bekommen.

Hübsche Grafiken im cleanen “Millenial”-Look sollen Arbeitnehmern wertvolle Tipps für die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz geben – Wenn die Arbeitsumgebung belastend ist und den Haupt-Stress-Faktor darstellt, können Arbeitnehmer:innen solche Tipps vom Arbeitgeber als ironisch und ignorant wahrnehmen. Bild: Blakeman & Associates

*Hinweis: Die Autorin dieses Artikels schreibt aus einer weiblichen, weißen, cis-hetereo Perspektive. Diese sozialen Kategorien bestimmten zum Teil auch, welche Inhalte auf den Social Media Feeds ausgespielt werden. Aber auch generell gilt: Mein Feed ist nicht gleich dein Feed. Je nach Algorithmus können die Inhalte sehr unterschiedlich ausfallen. Die Erfahrungen, die die Autorin mit den privaten Social Media Feeds macht, sind also zwangsläufig nur ein Teil des Ganzen und können nicht für alle Social Media Nutzer:innen geltend gemacht werden.

(1) Feed (engl.): Der Bereich einer Social-Media-Plattform, auf dem der:die Nutzer:in neue Inhalte angezeigt bekommt. Die Inhalte sind in der Regel sowohl von abonnierten Kanälen, als auch vom Algorithmus vorgeschlagene Inhalten, die zu den zuvor gelikeden Beiträgen passen sollen.

(2) Meme (engl.): Ein Bild, Video, kurzer Textabschnitt, häufig humorvoll, welches kopiert und vielfach im Internet geteilt wird und dabei teilweise auch abgeändert wird.

(3) Depression-Meme (engl.): Ein Meme, dass sich inhaltlich auf Depressionen oder dazugehörige Themen bezieht.

(4) POV (Point of View, engl.): Der Inhalt (Text, Foto, Video, etc.) ist aus einer bestimmten Perspektive erzählt oder nachempfunden. Taucht der Begriff in einer Video-Beschriftung auf, ruft er die Zuschauenden auf, sich direkt in die Perspektive der erzählten Situation hineinzuversetzen. Häufig wird die Abkürzung auch in humorvollen Videos oder Bildern genutzt.

(5) Caption (engl.): Unterschrift unter einem Bild oder Video.

Außerdem…

Was denken eigentlich junge Leute über mentale Gesundheit und Social Media? Die Tincon hat das 2021 auf der coronabedingt digital ausgestrahlten Festivalbühne in eine kleine Runde gefragt, das Ergebnis ist in diesem Video zu sehen und hören.

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Eine Folge der Wissenschaftssendung “MAITHINK X” vom 26. März 2023 mit Dr. Mai Thi Nguyen-Kim widmet sich dem Thema und gibt einen kurzweiligen und gut zusammengefassten Überblick über das Thema.