Kreativhelden handeln… Kreativ!

Die Kreativhelden – Neue Wege zur Entwicklung von  Engagement und Aktivität:  Jugendliche, die sich nichts zutrauen, entdecken ihr eigenes, kreatives Potenzial.

von Henrike Boy und Gerda Sieben

Wenn wir mit dem Heldenbegriff pädagogisch umgehen, kann das nur reflexiv, z.B. ironisch und mit Augenzwinkern geschehen: Der Begriff Held sollte anregen, zu reflektieren, dass und warum wir „übermenschliches“ leisten sollen und oft auch wollen, er sollte sensibel machen für den Wunsch nach Wahrnehmung und Anerkennung aber auch Mut machen, um bewusst für etwas einzutreten, das uns wichtig ist. Er kann dann auch helfen zu verstehen, was uns im Alltag davon abhält genau das zu tun.

Bewusstheit ist anspruchvoll und zugleich eine Grundbedingung für alles, was wir für unser Menschsein beanspruchen: Verantwortung, kritisches Denken, solidarisches Handeln und auch für Kreativität. Der Prozess, der zum (kreativen) Handeln führt, beinhaltet im Idealfall die Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit, dann die Wahrnehmung von Interessen/Motiven die sich daran anknüpfen und münden in einen Prozess ein, in dem das mit der Wahrnehmung anderer Menschen und einer Abwägung der Situation verknüpft wird: Was ist los? Wie geht es mir / uns? Was ist mein Interesse? Was kann ich tun? Welche Konsequenzen wird mein Handeln haben? Was wollen andere? Wie stehe ich dazu? Will ich mit anderen zusammen handeln? Für andere oder gegen andere?

… all das würde ein echter Held intuitiv im Zeitraum von Millisekunden gestützt auf ein gefestigtes ethisches Fundament abwägen. Aber kann man so was lernen?

Glücklicherweise interessieren sich Kinder und Jugendliche sehr für ethisch-moralische Fragen. Bei der Planung des Projektes Die Kreativhelden“ beobachteten wir, dass sich Jugendliche oft extrem leidenschaftlich, “moralisch” in Bezug auf Werte äußern. In kulturell durchmischten Gruppen geht es z.B. um unterschiedliche Auffassungen von Ehre, Be- und Abwertung von Verhalten und polarisierte Einstellungen zu Fragen von Religion, Lebenssinn und Moral. Hinter der Vehemenz der Äußerungen zeigte sich oft Unsicherheit und der Wunsch nach Orientierung. Vielen Jugendlichen fehlt jedoch eine vertrauensvolle Umgebung um ihre Wahrnehmungen einzuordnen, Interessen und Orientierungen auszudrücken und auszuhandeln. Weil v.a. benachteiligten Jugendlichen oftmals wenig zugetraut wird oder Ressourcen fehlen, erleben sie seltener die Bestätigung und Aufwertung, die Engagement und Aktivität bringen können. Vielen gelingt eher selten, selbst etwas zu verwirklichen, was ihnen wichtig ist, was ihnen und anderen gut tut. In der Praxis erleben wir, dass sich diese Jugendlichen zurückziehen. Das Projekt Die Kreativhelden“ möchte diese Zusammenhänge aufgreifen: Für die methodische Umsetzung des Projektes „Die Kreativhelden“ waren zudem Beobachtungen aus dem Projekt Kunst & Kabel wichtig:

  1. Handlungsmöglichkeiten in Freiräumen ermöglichen Kreativität

Im Projekt Kunst & Kabel, (in dem wir Fablab und Maker-Technologien mit künstlerischen Herangehensweisen verbinden) beobachteten wir, wie motivierend und faszinierend es für Kinder und Jugendliche ist, im konkreten Umgang mit Technik und Materialien sich im „Machen“ als selbstwirksam zu erleben. Bei vielen Kindern und Jugendlichen gab es allein dadurch eine nachhaltige Motivation, aktiv zu werden und Idee zu entwickeln und  umzusetzen. (vgl.wissenschaftliche Begleitung des Projektes Fablab mobil in: Henrike Boy / Gerda Sieben (Hrsg.): Kunst & Kabel: Konstruieren, Programmieren, Selbermachen! München 2017)

  1. Handlungsmöglichkeiten in Freiräumen verhindern Kreativität

Zugleich beobachteten wir aber auch, dass die Möglichkeit, etwas mit attraktiven Materialien und Techniken frei zu gestalten, nicht von Allen begeistert aufgegriffen wurde. Einige taten sich schwer mit der Freiheit und fühlten sich wohler, wenn es konkrete Vorgaben gab. Als Gründe dafür sehen wir zwei Faktoren, die wichtig für aktives kreatives Handeln sind:

  1. Selbstwahrnehmung und Zugang zu eigenen Gefühlen und Interessen

Nicht alle Kinder und Jugendliche schafften es, sich auf sich zu fokussieren und wahrzunehmen, was sie möchten und was sie interessiert. Einigen fiel es schwer, sich nicht nur von außen „triggern“ zu lassen, sondern in sich hinein zu hören und ihr Befinden und ihre Wünsche wahrzunehmen. Auf sich und seine Gefühle zu achten und sein Befinden zu äußern, schien für viele Jugendliche peinlich und sogar schambesetzt zu sein.

  1. Selbstvertrauen

Die zumeist bei Kindern vorhandene Lust Neues kennenzulernen und frei zu gestalten war bei einigen eingeschränkt, sie wirkten unsicher und mutlos, hatten Zweifel an ihren Fähigkeiten. Selbstvertrauen, Mut oder zumindest ein Minimum an Sicherheit sind offenbar notwendig, damit Ideen fließen und damit gehandelt wird. Viele, die pädagogisch arbeiten, können das intuitiv bestätigen.

Themen rund um Selbstvertrauen, Persönlichkeitsentwicklung und Wachstum werden zwar mittlerweile in Form von vielfältigen Bildungsangeboten (Meditation, Achtsamkeitsworkshops auch im Netz bspw. in diversen Vlogs und/oder Podcasting-Blogs[1]) intensiv an Erwachsene vermittelt, allerdings wenig an Kinder und Jugendliche. Um also Kreativität und eigenständiges, gestaltendes Handeln gezielter zu fördern, entwickelten wir das Projekt „Die Kreativhelden“.

 

Die Ausgangsthese:

Jeder hat ein tiefes Interesse an der eigenen Weiterentwicklung, dazu gehören ebenso Fragen zur Werteorientierung, als auch Möglichkeiten, sich selbst zu reflektieren.

Die Ziele:

Kreativheld*innen kennen sich selbst und sind selbstbewusst. Kreativheld*innen kennen ihre Werte und Ziele. Kreativheld*innen können kreativ mit Medien umgehen. Kreativheld*innen können mithilfe ihrer Kreativität Lösungen finden und sich weiterentwickeln.“

Das Projekt „Die Kreativhelden“ unterstützt junge Menschen, sich in einer schnelllebigen Zeit zu orientieren. Fake News, Hatespeech, rassistische Angebote, fundamentalistische Ansätze…, werben um Aufmerksamkeit und bieten vermeintlich Orientierungen. Die globale Verflechtung durch die Digitalisierung der Lebenswelten erfordert eine Stärkung der Fähigkeiten, sich in dieser unübersichtlichen Lage zurechtzufinden und Beeinflussungen kritisch zu hinterfragen. Lange Schulzeiten und „always on“ verstricken sie in ständigem Aktionismus und fortwährender Ablenkung, für Selbstwahrnehmung und Orientierung fehlt oftmals Ruhe, Selbstvertrauen und die richtigen Vorbilder.

Die Umsetzung:

Diese Thematik wird im Projekt so aufbereitet, dass die Jugendlichen darin unterstützt werden, selber zu „Kreativhelden“, die ihre Werte vertreten und sich (kreativ) für ihre Ziele einsetzen, zu werden. Dieser Prozess beinhaltet dabei zwei Kern-Elemente:

  • Stärkung der Selbstwahrnehmung und Entwicklung einer eigenen Position: Was ist mir wichtig? Warum? Wie entstehen Werte? Wer bin ich (in Abgrenzung zu anderen)? Wie sollen andere mich sehen? Und wer will ich sein? Was sind meine Träume und Ziele? Umgesetzt mit sozialpädagogischen Methoden wie spielerischen Aktionen, Gesprächen/Diskussionen, Rollenspiele, Selbsterfahrungen, Methoden zur Selbst- und Fremdwahrnehmung.
  • Kreatives Engagement und Aktivität: Durch die aktive Umsetzung eines eigenen medialen Projektes, das eigenen Werten entspricht, “eine Heldentat” mit der Werte und Haltungen kreativ vertreten werden.

Da digitale Medien ein zentraler Weg und gleichzeitig Werkzeug sind, Werte und Orientierungen zu transportieren, zu manipulieren und zu kommunizieren, nehmen sie eine zentrale Rolle im Projekt ein. In Workshops, regelmäßigen Angeboten in der Auseinandersetzung mit dem inneren kreativen Selbst mit den Jugendgruppen entstanden z.B. :

  • ein persönlicher Film zum Thema Selbstvertrauen,
  • ein Blog mit DIY Bastel- oder Bau-Anleitungen zu seinen Lieblingsprojekten,
  • eine Foto-Strecke zu den eigenen Lebenszielen,
  • eine Instagram-Story zu der Tanz-Choreografie der eigenen Clique,
  • ein Audiotagebuch,
  • ein Portrait-Trailer und Vieles mehr.

Ein Teil der Ergebnisse aus der Kreativhelden-Community können über die Internet-Plattform YouTube verfolgt werden. YouTube fungiert dabei als pädagogisches Medium für den kreativen Selbstausdruck und hilft den Jugendlichen im pädagogischen Kontext, sich mit ihren persönlichen Werten und Potenzialen zu beschäftigen. Über die beiden Rubriken #heldsein und #kreativsein werden im zweiwöchentlichen Rhythmus Inhalte an die junge Community vermittelt. Ein zweiter wichtiger Kanal der Kreativhelden ist Instagram. Er bietet die Möglichkeit in Kontakt und Austausch mit den Jugendlichen zu sein. Links zu den Channels:

https://www.youtube.com/channel/UCIE18Q2BDpd28HP6sxon-zQ

https://www.instagram.com/diekreativhelden/

Eine beispielhafte Einstiegsmethode mit dem Titel „How to be an influencer“ besteht darin, dass sich die Jugendlichen (meistens) zum ersten Mal in ihrem Leben in eine „richtige“ Videokulisse stellen. Zwei Kameras, drei große Scheinwerfer, ein Mikrophon… Hier werden neue Rollen durchlebt und anschließend reflektiert. Wie hab ich mich dabei gefühlt? War es unangenehm oder hab ich mich wohl gefühlt? Hab ich mich geschämt oder gefreut so im Mittelpunkt zu stehen? Was hab ich zu sagen und was würde ich gerne anderen mitteilen? Dabei geht es nicht nur um die Rolle des „Influencers“, der vor der Kamera steht, sondern ebenso um die Rolle des Regisseurs, des Kameramanns/der Kamerafrau und des/r Tontechnikers*in.

Um das Projekt fortwährend weiterentwickeln zu können, erheben wir regelmäßig Feedback von den Teilnehmer*innen.

Das sagen Teilnehmende:

  • Bei den Kreativhelden mitzuwirken, macht mir sehr viel Spaß. Ich finde es spannend sich mit sich Selber auseinanderzusetzen und sich klarer über die wichtigsten Dinge im Leben, seine persönlichen Stärken und Schwächen und Ziele und Träume im Leben zu werden. Häufig beschäftigt man sich gar nicht so intensiv damit, wer man eigentlich ist und wer man gerne sein möchte. Mit dem Projekt habe ich angefangen, mir über diese Themen Gedanken zu machen und lerne vor allem selbstbewusster in Bezug auf mich, meine Stärken und Schwächen, aber auch meine Werte im Leben zu sein. Außerdem finde ich es total interessant, dass wir verschiedene Medien ausprobieren können und wir zum Beispiel die Kamera besser kennen lernen und gezeigt bekommen wie wir das Licht und die Kamera einstellen, um zu fotografieren. Diese kreative Arbeit macht viel Spaß und öffnet einem viele Möglichkeiten sich selber darzustellen und vor allem diese ganzen Medien kennenzulernen.“
  • Das Projekt stellt für mich exakt das dar, was der Name schon aussagt: „Die Kreativhelden“ – also ein Team von gleichgesinnten jungen Menschen (Helden), welche sich im kreativen Bereich vor allem mit den Thema Selbstfindung beschäftigen.

Ich persönlich finde, dass gerade jungen Menschen in unserer Bildung oftmals die Möglichkeit verwehrt wird, das was sie lernen wollen, aktiv mitzugestalten und sich auch kreativ auszudrücken.  Außerdem interessant ist die damit verbundene Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit in Form von Selbstreflexion. Das Kreativhelden-Team organisiert coole Sachen und bietet Aktionen zum „Reinschnuppern“ in die Projekte, das find ich toll! Das Wichtigste ist, dass man Leute kennenlernt, die ihren persönlichen „Heldenweg“ schon begonnen haben und einen daher inspirieren können. Somit bekommt man Einblicke in die Träume/Ambitionen anderer „Gleichgesinnter“.

Neben dem positiven Feedback, zeigten sich auch Herausforderungen im Projekt: Die Prägnantesten sind:

  • Projektmitarbeiter: „Es ist eine Herausforderung, diese sehr „großen“ und abstrakten Themen und Ziele methodisch umzusetzen. Es fällt uns als PädagogInnen schwer, Jugendlichen mit geeigneten Methoden Zugang zu den Themen und Inhalten zu verschaffen. Uns gelingt Kommunikation darüber nicht immer. Manchmal lachen die Jugendlichen, schauen auf ihre Smartphones oder gehen weg. Für uns ist es ständig wichtig, einen sicheren und vertrauenswürdigen Raum für die Jugendlichen zu schaffen.“
  • Viele Jugendliche fangen bei dem Thema „Selbstreflexion“ bei Null an und sehen keinen persönlichen Bedarf. Wir stehen also vor der Herausforderung, hier die Jugendlichen auf Neuland zu führen. Dafür müssen wir herausfinden, warum sie keinen Bedarf für Selbstreflexion sehen. Ein Grund könnte darin liegen, dass die Themen des Projekts teilweise schambesetzt sind. Gefühle wir Angst, Trauer aber auch Freude sind nicht gerade „cool“. Viele Jugendliche zeigen ihre Gefühle lieber in der Instagram-Storie als vor anderen (realen) Menschen, weil sie dann in ihrem gewohnten Umfeld (Zimmer und Internet) sind und das Medium ihnen schon so vertraut ist. Darum beobachten wir auch Abwehr, z.B. indem die Jugendlichen keinen Bedarf nennen. Der Umgang damit erfordert viel individuelle Beziehungsarbeit und erschwert die Arbeit in einer Gruppe.“

Diese interessanten Aspekte führten dazu, immer wieder neu an den Konzepten des Projekts zu arbeiten. Zum Austausch gibt es daher klein-schrittigere Methoden, um sich kennenzulernen und Vertrauen zu entwickeln, z.B. Gruppen-Chats statt der Face-to-Face-Gespräche.

Nichtsdestotrotz zeigt das Projekt, dass Jugendliche sehr an der eigenen Weiterentwicklung interessiert sind. Sobald die ersten Hürden überbrückt sind, zeigen sich häufig die tiefgehenden Bedürfnisse nach Unterstützung. „Die Kreativhelden“ unterstützen Prozesse, die Kreativität in den Dienst der eigenen Interessen und Sehnsüchte stellen, in den Dienst ihres eigenen Mitgefühls und Engagements, um ihre Kreativität also „von innen heraus“ zu stärken.

[1] https://happydings.net/2017/05/22/10-inspirierende-webseiten-die-du-kennen-solltest