Datenrausch ohne Nebenwirkungen?
Von Big Data zur nachhaltigen Medienbildung in der digitalen Umwelt
Bei Familie Mustermann hat jedes Familienmitglied einen Zwilling, einen digitalen Zwilling, der sich mittels Tracking und Matching von Nutzerdaten vernetzter Geräte generieren lässt. Digitale Kommunikation und Infrastruktur machen unser Leben so viel praktischer – mit vielen Nebenwirkungen. Wir werden transparenter und die Datenberge wachsen ebenso wie unser Energiebedarf und der Elektroschrott. Was müssen Jugendliche heute wissen – um die Chancen der digitalen Technik aufgeklärt und aktiv zu nutzen, wie auch die digitale Zukunft mitzugestalten? Die Perspektive Nachhaltigkeit bildet dabei eine
Orientierung für die qualitative Gestaltung der Digitalisierung.
Lena, Marvin und Ben Mustermann (15, 8 und 3 Jahre alt) wohnen mit ihren Eltern in einer Ruhrgebietsstadt, zugleich leben sie auch in einer digitalen Umgebung, die immer mehr Details ihres Alltags abbildet. Wie ähnlich ist das „digitale Double“ der realen Familie und was bedeutet das? Fotos der Kinder sind schon lange im Netz, ihr Aussehen kann mittels der integrierten Gesichtserkennungssoftware in ihren Handyapps zugeordnet werden. Auch der Smartphone-Betreiber oder Facebook/Instagram „erkennen“ ihre Gesichter, die Tools „Alexa“ und „Siri“ ihre Stimmen. Der Vater liefert Krankenkasse und Werbeindustrie über einen kostenlosen Fitnesstracker zusätzliche Infos über seine Kondition und Disziplin. Die Mutter leidet an Bluthochdruck und kontrolliert ihn digital. Mithilfe weiterer Messwerte − Schritte, Schlafverhalten, Bewegungsprofile − kann man so ein „gesundes“ oder „risikohaftes“ Gesundheitsverhalten unterscheiden. 1 Kombiniert mit aktuellen Verfahren der Datenanalyse lassen sich aus Gesichtern und Stimmen auch Krankheiten und psychologische Dispositionen wie etwa Extrovertiertheit/Introvertiertheit ableiten. Zusammen mit den Gesundheitsdaten kann so ein recht genaues biometrisches Abbild der Familienmitglieder erstellt werden.
Smartphone, Smart Home, Smart City
Auch in der Wohnung der Familie liefern vernetzte digitale Geräte Daten über den Familienalltag: Wohnungsgröße, Heizverhalten, Kaufverhalten, Streamingabrufe, Urlaube. Damit lassen sich die finanziellen Möglichkeiten, Lebensrhythmus und Lebensstil gut beschreiben. Selbstverständlich haben alle Familienmitglieder ein Smartphone. Ausgestattet mit mehr als 15 Sensoren liefern diese nicht nur Bilder und Töne, sondern auch Daten über Tippverhalten, Geoposition, Bewegungsmuster oder Temperaturdaten; sie zählen, wie oft das Gerät in die Hand genommen und was damit gemacht wird.2
Bis auf den Jüngsten sind alle auf sozialen Netzwerken unterwegs: Freundeskreise, die Intensität einzelner Kontakte, Suchbegriffe, Online-Einkäufe, Verweildauer auf Websites und an realen Orten oder die Vorlieben beim Gaming werden ausgewertet. Viele Apps senden das Adressbuch oder Standortdaten an die Betreiber. Werden die Infos zusammengeführt, entstehen dichte Aktivitäten-Profile, die Rückschlüsse auf die soziale Einbettung, Interessen und Stimmungslagen ermöglichen. Diese Informationen sind für viele Anbieter und deren Kunden sehr interessant und haben die großen Plattformen zu den wertvollsten Unternehmen der Welt gemacht. Das Geschäftsmodell ist bekannt: Die scheinbar „kostenlose Nutzung der Social Media-Plattformen oder Apps“ wird refinanziert durch den Wert der Nutzerdaten. Die Betreiber verkaufen ihren kommerziellen Kunden die gezielte Zuspielung von Werbung/Information an sehr genau kalibrierte Profile.
Die Datenschutzgrundverordnung verbietet in Europa die Weitergabe von Nutzerdaten in Verbindung mit Klarnamen und Adresse. Doch darf der Betreiber eines Webdienstes Nutzerdaten sehr wohl selbst „zur Verbesserung des Dienstes“, wie es in der Nutzungsordnung meist heißt, auswerten und verwenden. Dass Profile, Mail-Adressen oder Accounts darüber hinaus auch an Dritte (Databroker)3 verkauft werden dürfen, steht ebenfalls in den ABGs der meisten Anbieter von Social Media, Apps oder Games. Dem muss man zustimmen, um die Dienste zu nutzen, doch haben das die Eltern in unserem Beispiel auch im Namen ihrer Kinder getan.
Die Heimatstadt der Mustermanns möchte sich zu einer „Smart City“ weiterentwickeln und vernetzt Daten, z.B. von Überwachungskameras und GPS, um die Mobilität der Bewohner zu erfassen und den Verkehr zu steuern, Bebauung zu dokumentieren, Verbrauch von Wasser und Strom zu steuern, verknüpft sie mit Meldedaten, um Prognosen über Bevölkerungsentwicklung zu erstellen. Hier liegen viele Chancen für die demokratische Gestaltung des Stadtlebens, aber auch Risiken, wie Beispiele von Nizza und Marseille zeigen, wo die „sichere Stadt“ zugleich zur „überwachten Stadt“ wird.4
Individualisierung oder Normierung?
Tracking (Nachverfolgen von Nutzeraktivitäten) und Matching (Zusammenführung von Daten unterschiedlicher Quellen) ermöglichen also die sehr genaue Analyse des Körpers (Biometrie), des sozialen Verhaltens (Soziometrie) und der Psyche (Psychometrie). Nach ganz unterschiedlichen Fragestellungen können Datenberge gezielt immer neu ausgewertet und durch Profile gebildet werden. Meist, um Werbung zu platzieren, doch beruht die gezielte Ansprache immer auf Diskriminierung, durch die Personen/Gruppen eben auch benachteiligt werden können. (z.B. personalisierte Preisgestaltung, gezielte politische Ansprache, unterschiedliche Versicherungstarife für Frauen und Männer, online-Kreditvergabe). Bisher bleiben die Kriterien, nach denen Algorithmen Profile bilden,
meist intransparent. Und auch im Nachhinein lassen sich immer wieder neue Gruppen definieren und identifizieren, etwa neue „Risiko-Gruppen“, rassistische oder sexistische Zuordnungen, und es können zudem Echokammern Gleichgesinnter verstärkt werden.5 Gerade, weil wir nicht wissen können, was zukünftig mit den Daten geschieht, brauchen wir in Zeiten der Datenanalyse die Demokratie und den Schutz des Rechtstaates. Bei Lena könnte man an ihren Online-Aktivitäten ihre zeitweilige Randposition in der sozialen Gruppe erkennen und auch ihren Versuch, Gewicht abzunehmen (Posts über Diäten, Abnehmforen). Ihr Kommunikationsverhalten zeigt eine relativ „geringe Belastbarkeit“; so erhielt Lena Werbung für eine App, mit deren Hilfe sie ihre „Depression“ in den Griff bekommen und dazu ein „Stimmungstagebuch“ führen sollte. Als sie dem zustimmte, bestätigte sie damit ihr Profil, das sie als „psychisch instabil“ einstufte und lieferte dem App-Anbieter weitere Details zu ihrer Stimmungslage.6 Aktuell dokumentieren Veränderungen in ihrem sozialen Netzwerk ihr neuestes Engagement bei „Fridays for Future“. Wenn sie sich in ein paar Jahren bei einem Arbeitgeber bewirbt, könnte nicht mehr der bewusst „performte“ Lebenslauf über Zugänge entscheiden, sondern das digitale Langzeitprofil. Ergänzend zum individuellen Blick auf Lena kann abgeglichen werden, ob Lena ein Einzelfall ist oder ob sich hier beispielsweise ein Trend bei jungen Frauen hin zu mehr Engagement im Umweltbereich abzeichnet. Die Identifikation von Trends und Prognostik ist die Stärke von Datenanalyse im großen Stil: Durch Messung und Abgleich entsteht eine neue Form der Vergleichbarkeit bzw. Normierung. Abweichungen können nur auf Basis einer „Normalität“ der Vielen gefunden werden. Das ist gut und hilfreich, wenn es um die Häufung von Erkrankungen in einem Gebiet geht, es ist gefährlich in den Händen von Kriminellen oder autoritären Systemen. Auf die Spitze getrieben sind diese Möglichkeiten heute schon im Social Scoring System in China, wo die Überwachung der Bevölkerung über digitale Medien mit einem Punktesystem für erwünschtes Verhalten verknüpft wird.
Digitale Erziehungshelfer
„Wir haben doch nichts zu verbergen“, sagen die Eltern und sind zugleich unsicher: Was sollen sie erlauben? Welche Apps und Games freigeben? Sollen
sie im Kindergarten zustimmen, Fotos ihrer Kinder auf der Homepage zu zeigen? Wie verhindern, dass ihre Kinder über eine Spieleapp getrackt werden?7 Diese Unsicherheit kommt als erhöhter Beratungsbedarf der Familien und Fachkräfte von Kita bis zum Jugendhaus, Berufsschule oder Museum immer häufiger bei medienpädagogischen Facheinrichtungen an.
Auf diese Verunsicherung reagieren auch kommerzielle Anbieter: Ihre Produkte sollen Eltern das Gefühl geben, Kontrolle zurückzugewinnen: So hat die vernetzte, bewegungssensible Schlafunterlage gegen plötzlichen Kindstod die Eltern beruhigt. Auch die Windel mit dem Feuchtigkeitssensor könnte praktisch sein, oder der Schnuller, der Fieber misst. Doch wie verändert sich dadurch der Kontakt zwischen Eltern und Kindern? Seit der Wii erobern immer neue digitale und analog-digitale Produkte das Kinder- und Jugendzimmer. Die meisten liefern, wenn sie nicht komplett offline funktionieren, jede Mengen Daten auch über das Spielverhalten der Kinder. Einige Produkte gerieten in die Kritik wie die sprechende Puppe Kayla, die als „illegale Abhöranlage“ in Deutschland verboten wurde.8
Natürlich haben Herr und Frau Mustermann, als die Kinder ihr Smartphone bekamen, Net Nanny, eine „Parental-Control-App“, aufgespielt.9 Diese Apps filtern das Surfverhalten der Kinder, zeigen den Eltern, wo sich die Kinder gerade aufhalten, begrenzen die tägliche Nutzungsdauer. Die Daten des Kindes und der Eltern, die ihr Erziehungsverhalten per App dokumentieren, gehen an die Betreiber. So werden Eltern selbst zu Trackern ihrer Kinder. Auch Pädagoginnen und Pädagogen, werden „smarte Tools“ für eine bessere Erziehungspraxis angeboten. Sie sind gefordert, sich selbst ebenso wie Kinder und Jugendliche über Datenanalyse aufzuklären und Tools abzulehnen oder einzusetzen. Das überfordert die Ressourcen der meisten pädagogischen Institutionen, die der Dynamik kaum gewachsen sind. Es bedarf neuer Beratungs- und Unterstützungskonzepte und Fortbildungsangebote. Medienpädagogische Facheinrichtungen brauchen
wegen der Dynamik und Komplexität der Entwicklung mehr Ressourcen, diese zu entwickeln.
Weil die Nutzung der Social Media-Kanäle alternativlos ist (für Jugendliche wäre das mit sozialem Ausschluss verbunden), sehen sich viele Akteure im kultur-, bildungs- oder sozialpädagogischen Feld „gezwungen“ die „großen“ Anbieter zu nutzen, deren Bedingungen sie vielfach ablehnen. Diese Alternativlosigkeit führt zur politischen Forderung nach einer Infrastruktur, die den Geist der DSGVO tatsächlich unterstützen kann.
Die digitale Umwelt gestalten
Was also müssten die Inhalte von Bildungs- und Fortbildungsangeboten zur Digitalisierung − oder enger auf symbolische Kommunikation bezo-gen – digitaler Mediatisierung sein? Digitalisierung, ein Mega-Begriff, meint nicht nur die Technik, sondern auch die dadurch initiierte gesellschaftliche Transformation. Sie geht damit über die klassischen Kommunikationsmedien, die bisher Gegen-stand der Medienpädagogik waren, hinaus und umfasst sowohl MINT-bezogene Inhalte als auch kulturell-politische Inhalte. Harald Gapski, Leiter der Forschung beim Grimme-Institut, sieht hier den Kern neuer Anforderung an die Medienbildung: „Digitalisierung fordert heraus, global vernetzte digitale, soziotechnologische Systeme in Bildungsprozessen transparent zu machen, Menschen dazu auszubilden, sie demokratisch kontrollieren und gestalten zu können“.10
Weil jedoch nicht alle zu Informatik-Expertinnen und -Experten werden und komplexe Systeme überblicken können, muss die Verantwortung für die Gestaltung und Kontrolle solcher Großtechnologien auf der politischen Ebene mit entsprechend starken Partnern im Sinne der Bürgerinnen und Bürger demokratisch entwickelt werden. Darum sollte Medienpädagogik hier enger mit Ansätzen der politischen Bildung zusammenarbeiten. Auf der Basis von unterstützendem Expertenwissen, juristischen Regelungen und unabhängigen Institutionen, die die demokratische Kontrolle von digitalen Systemen unterstützen (z.B. digitaler Verbraucherschutz) kann Pädagogik dann Orientierung geben und „Übersetzungshilfe“ leisten mit dem Ziel:
- Wissen über die Funktionsprinzipien der Digitalisierung/digitale Medien und ihre Folgen verständlich und zugänglich zu machen,
- Wege aufzeigen, wie sich (junge) Menschen an der Gestaltung der digitalen Zukunft auf der politischen wie auf der zivilgesellschaftlichen oder der technischen Ebene beteiligen können.
Weil Digitalisierung Chancen und Risiken öffnet, muss es in der Medienpädagogik, neben der Vermittlung von Grundfunktionen des Codings, der Kommunikation mit Medien in Netzen oder von Privacy Optionen in Social Media, auch darum gehen junge Menschen zu unterstützen, selbst Anforderungen und Ideen für eine „gute“ digitale Zukunft zu formulie-ren und dazu Anwendungsideen zu entwickeln. Die hiermit verbundene Auseinandersetzung kann durchaus auch kreativ, spielerisch oder künstlerisch umgesetzt werden. Eine gute Grundlage für die inhaltliche Strukturierung des Feldes liefert das Frankfurt-Dreieck, das ein interdisziplinäres Team aus Medienpädagogen, Informatikern und Vertretern der Wirtschaft entwickelt hat. Diese „Matrix“ hilft, den Zugang zum Themenkomplex Digitalisierung in einen systematischen Rahmen zu stellen.11
Stark verkürzt bedeutet das:
1. Technologische/Informatische Perspektive: Betrachtet werden die Funktionsweisen von digitalen Artefakten, die die digitale vernetzte Welt ausmachen, und damit in Zusammenhang stehende Phänomene wie z.B.:
- Zugrundeliegende Funktionsprinzipien und Strukturen
- Möglichkeiten zur Gestaltung und Erweiterung der Funktionen
- Reflektierter Umgang mit digitalen Systemen und kulturellen Einschreibungen in die Technik
2. Gesellschaftlich-kulturelle Perspektive: Wechselwirkungen zwischen Individuen, Gesellschaft und digitalen Systemen werden vor dem Hintergrund des digitalen Wandels analysiert und reflektiert. Das sind v.a.:
- Veränderungen durch digitalisierungsbezogene Kompetenzen, sich eröffnende Möglichkeiten für wirtschaftliches, ökologisches, nachhaltiges und politisches Handeln, denen Individuen und Gesellschaft unterworfen werden
- Analyse und Bewertung von Chancen und Problemen, die durch den digitalen Wandel entstehen, z.B. die damit einhergehende Verantwortung
3. Interaktionsperspektive: Im Fokus stehen hier die handelnden Menschen:
- Wie und warum nutzen sie vor dem Hintergrund der technologisch-medialen und gesellschaftlich-kulturellen Voraussetzungen welche digitale Medien und Systeme?
- Inwiefern haben sie am digitalen Wandel teil und können ihn mitgestalten?
- Wie können sie sich als handlungsfähige Subjekte konstituieren? Dabei sind die Aspekte Nutzung, Handlung und Subjektivierung zentral.
Getriebene oder Gestalter?
In der praktischen Medienpädagogik geschieht die Umsetzung erst schrittweise. Einige Ansätze gibt es jedoch schon, z.B.:
- Making und Fablab-Ansätze, bei denen mit digitalen Bauteilen gebaut und gebastelt, Codes geschrieben, Sensoren und Motoren mit Datenverarbeitung verknüpft werden. Dabei lassen sich modellhaft sehr gut technische Grundprinzipien so vermitteln, dass Zugang und Selbstwirksamkeit gestärkt werden.
- Ansätze zu einer „Medienkritik 4.0“ zu fairem und aufgeklärtem Handeln im Netz, im Umgang mit Apps und Social Media sowie zu Strategien eines persönlichen Datenschutzes. Noch relativ wenig entwickelt ist die Auseinandersetzung mit Nutzungsstilen und der Qualität von Medienjournalismus.
- Zur Aufklärung über die Strukturen hinter den Nutzeroberflächen, v.a. zur Datenanalyse, gibt es erst wenige Ansätze. Die Bundeszentrale für politische Bildung, Klicksafe, das Studio im Netz, iRights.Lab und das jfc Medienzentrum haben hier erste Methoden entwickelt.
Jugendliche wissen zwar auf der Anwendungsebene sehr viel über digitale Tools, aber wenig über die Strukturen hinter den Nutzeroberflächen. Gestützt wird diese Praxiserfahrung durch die neueste Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI)12: Jugendliche empfinden Unbehagen in Bezug auf Datensicherheit und legen ethische Kriterien an die digitale Entwicklung an. In der Praxis reagieren sie jedoch ähnlich resignativ wie die Erwachsenen. Man ahnt, dass Daten gesammelt werden, stimmt den Nutzungsbedingungen aber doch zu, um Services zu nutzen. Die Studie offenbart, dass Jugendliche sich bisher eben nicht als „Gestalter der Entwicklung, sondern eher als Getriebene“ empfinden. Sie sind keineswegs zufrieden darüber, dass man ihnen als „Digital Natives“ per se Medienkompetenz zutraut und fordern geradezu ein, dass Schule und Medienbildung ihnen helfen, die komplexe Welt besser zu verstehen. Eine solche Steilvorlage sollte uns als (Medien-)Pädagogen ermutigen, Medienbildung nicht nur mit digitalen Tools umzusetzen, sondern Bil-dung über die Digitalisierung mit ihren Chancen und Risiken für die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft unter Beteiligung von Jugend-lichen zu entwickeln! Dabei können durchaus auch „klassische“ Formen der Medienarbeit eingesetzt werden wie journalistische Techniken, aktive Medienproduktion, Blogs, Games, Tutorials. Unsere Praxiserfahrung zeigt ermutigend, dass gerade auch ethisch-politische Themen junge Leute sehr interessieren.
Nachhaltigkeit als Perspektive
Der Prozess der Digitalisierung ist kein Naturereignis. Vielfach wird er im Zusammenhang mit Modellen der technischen und gesellschaftlichen Transformation diskutiert. Oft in dem Dreiklang: Globalisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit.13 So plädierte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) 2011 in seinem Hauptgutachten für eine beschleunigte „große Transformation“ zur Nachhaltigkeit, die angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen (z.B. rascher Klimawandel, Verlust an Biodiversität, fortschreitende Bodende-gradation) dringlich und sofort angegangen werden sollte.14
Darauf aufbauend hat Uwe Schneidewind, Direktor des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie in einem aktuellen Buch die große transformation15 Umsetzungsszenarien zusammengestellt. Er möchte zeigen, dass eine Transformation nicht zwangsläufig in Katastrophen, Dystopien und Resignation münden muss, weil wir nicht nur mit großen Risiken umgehen, sondern auch über einen enormen Reichtum an Res-sourcen, kulturellen und technologischen Möglichkeiten verfügen. Mit einem Konzept der „Zukunftskunst“ meint er die Fähigkeit, kulturellen Wandel, kluge Politik, neues Wirtschaften und innovative Technologien miteinander zu verbinden. Im Team des jfc haben wir diese These lebhaft diskutiert und sehen in der Orientierung an Nachhaltigkeitskonzepten die Möglichkeit, auch die Medienpädagogik weiter zu entwickeln. Selbst wenn wir das bei Weitem noch nicht alles durchdacht oder gar umgesetzt haben, möchten wir mit Kindern und Jugendlichen, Eltern und Partnern, Universitäten und Politik darüber diskutieren, ob und wie digitale Medien zur nachhaltigen Entwicklung beitragen können. Wir möchten Kinder und Jugendliche befähigen, mit allen verfügbaren Technologien eine nachhaltige und gerechte Zukunft zu gestalten. In einigen Projekten haben wir erste Schritte in Richtung Umsetzung getan: z.B. im Upcycling-Projekt (gemeinsam mit Lizzynet) Besser machen, der Zukunftswerkstatt Digitopia, mit Making und FabLab-Ansätzen (Kunst & Kabel), dem Projekt Die Kreativhelden, der Entwicklungspolitischen Filmreihe beim Kinderfilmfestival. Mit unserem Umzug in ein neues Haus möchten wir uns der Vision eines nachhaltigen Medienzentrums noch mehr annähern. Stellen wir die Definition von Nachhaltigkeit in Bezug zu digitalen Medien: Wie können sie dazu dienen, „gleiche und hinreichende Entfaltungschancen für die Menschen auf diesem Planeten – heute und zukünftig – innerhalb der bestehenden planetaren Grenzen“16 herzustellen? Wir haben festgestellt, dass wir da auf viele pädagogisch relevante Fragestellungen stoßen, die wir mit Jugendlichen diskutieren und für die wir gemeinsam nach Antworten suchen wollen.
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